Hinterdittersbach und die Kirnitzschschänke
Nur reichlich 500 Meter bachaufwärts von der Stelle, an der die Kirnitzsch endgültig nach Sachsen hineinfließt, nachdem sie zuvor einige Kilometer den Grenzverlauf markierte, befand sich am böhmischen Ufer bis 1945 die Ansiedlung Hinterdittersbach (tsch. Zadni Jetrichovice), ein Knotenpunkt des Tourismus in der Sächsisch-Böhmischen Schweiz. Es trafen hier die Touristenwege von Dittersbach (Jetrichovice), Hohenleipa (Vysoka Lipa), Rainwiese (Mezni Louka), der Unteren Schleuse und dem Zeughause, von Hinterhermsdorf, aus dem Khaatale (Kyjovske udoli) und von der Oberen Schleuse her zusammen.
Die Lage von Hinterdittersbach (1910)
Die Lage von Hinterdittersbach auf der Wanderkarte Hinterhermsdorf 1:10000 von Rolf Böhm
Auf einer alten Brücke überschreitet hier die mittelalterliche Böhmerstraße die Kirnitzsch. Am bekanntesten war in dieser Häusergruppe die Kirnitzschschenke, so daß die ganze Ansiedlung umgangssprachlich oft nach ihr bezeichnet wurde. Die gesamte Häusergruppe, die anfänglich auch "Kirnschbrücke" genannt wurde, entstand zu Beginn des 19.Jhs., vermutlich aus schon vorher existierenden zeitweiligen Unterkünften für Forstpersonal und Waldarbeiter. Götzinger erwähnt 1812 in seiner Beschreibung der Sächsischen Schweiz bereits den Gasthof: "...die Straße, welche sich von Hinterhermsdorf aus nach Dittersbach und Hirnischkretzschen in Böhmen unter diesem Felsen vorbeizieht, und der böhmische Gasthof, welcher gleich darneben an der steinernen Brücke steht, erinnern daran, daß man in keiner öden Wüste ist. ..." Der Topograf Sommer nennt 1833 vier Häuser, um 1900 existierten bereits 7 Häuser.
Die Kirnitzschschänke um 1880 von NW, rechts im Hintergrund das Hegerhaus
Im ausgehenden 19.Jh. entwickelte sich allmählich der Fremdenverkehr, schon 1851 wurde im Elbtal die Bahnlinie gebaut. 1887/88 erfolgte der Ausbau des ehemaligen mittelalterlichen Handelsweges "Böhmerstraße" als Bezirksstraße. 1893 wurde ein "Executiv-Comitee" zum Bau und Betrieb einer Straßenbahn von Bad Schandau bis zur Kirnitzschschänke gegründet, ausgeführt wurden diese Pläne später jedoch nur bis zum Lichtenhainer Wasserfall. In der zweiten Hälfte des 19.Jhs. ist auch die Kirnitzschschenke, die hinter einer Gruppe kleinwüchsiger, heute noch stehender Kastanien unweit der Kirnitzsch stand, von einem einstöckigen Fachwerkbau in einen stolzes zweistöckiges Umgebindehaus umgebaut worden, und wurde fortan als Hotel bewirtschaftet.
Die Kirnitzschschenke, links kurz nach 1918, rechts heute (von NW)
Lageplan der Häuser von Hinterdittersbach
Nur wenige dutzend Meter weiter, ebenfalls links des Fahrweges, stand das Gasthaus "Zum Hirsch". Etwas weiter östlich hangaufwärts am Waldrand stand das Gasthaus "Zum Hegerhaus". Eine Auskunftsstelle des Gebirgsvereines war 1896 in der Kirnitzschschenke zu finden, 1912 dann im Gasthaus "Zum Hirsch". Im Jahr 1931 wird neben den Gasthäusern sogar ein Kindererholungsheim der Stadt Warnsdorf erwähnt.
Eine literarische Erwähnung von Hinterdittersbach finden wir u.a. in Anton A. Paudlers "Ein deutsches Buch aus Böhmen"(dritter Band, Leipa 1895) und in Otto Eduard Schmidts "Kursächsischen Streifzügen" (sechster Band, Dresden 1928)
Das Hotel zum Hirsch, links um 1910 (von SW), rechts heute (von NW)
Das Gasthaus Hegerhaus, links um 1904, rechts heute (von NW)
Das Restaurant Waldfrieden, links um 1912 (von den Rabensteinen aus), rechts heute (vom Fahrweg)
Bemerkenswert ist, das die wenigen Häuser zu zwei verschiedenen Gemeinden gehörten. Die Häuser rechts (westlich) der Böhmerstraße gehörten unter der Bezeichnung "Kirnscht" zur Gemeinde Hohenleipa, neben den Häusern befand sich ein Wildgehege; die Häuser links (östlich) der Straße unter der Bezeichnung "Hinterdittersbach" zur Gemeinde Dittersbach. Dies liegt daran, das die Böhmerstraße schon seit Jahrhunderten die Grenze zwischen den Herrschaften Kamnitz und Binsdorf bildete.
Hinterdittersbach von den Rabensteinen (NO) aus gesehen (um 1920)
links das Hegerhaus, unten die Kirnitzschschenke, darüber das Hotel zum Hirsch, rechts daneben das Gasthaus Waldfrieden
Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges wurden die Bewohner aus Hinterdittersbach vertrieben und die Häuser teilweise dem Erdboden gleichgemacht. Bis in die Mitte der fünfziger Jahre wurde das Gelände von Hinterdittersbach nach Augenzeugenberichten noch als Kinderferienlager genutzt. Vermutlich nach dem Aufstand in Ungarn 1956 wurde jedoch das Grenzgebiet auf tschechoslowakischer Seite massiv abgeriegelt und auch die noch übriggebliebenen Häuser dem Erdboden gleichgemacht.
Hinterdittersbach im Jahre 1953 von der sächsischen Seite aus, links hinter dem Schlagbaum die Kirnitzschschänke (schon ohne Dach ?), rechts das Gasthaus "Zum Hirsch", links unterhalb davon am Bachufer die Reste des Bauernhauses der Familie Rietschel/Kleinpeter (Foto: Archiv K.Lamm)
Einzig die Kirnitzschbrücke ist heute immer noch vorhanden und wurde mittlerweile völlig überholt, seit etwa 1990 war sie zuvor mit großen Betonblöcken gegen den Autoschmuggel abgesperrt worden. Bei genauer Suche lassen sich im hohen Gras jedoch die Grundmauern der einst viel besuchten Gasthäuser noch finden.
Hinterdittersbach heute von den Rabensteinen aus gesehen (Juli 2001), die Häuser existieren nicht mehr, der Großteil der einst bewirtschafteten Wiesenflächen auf der böhmischen Seite der Kirnitzsch ist inzwischen mit jungem Wald überwachsen. Unter den Bäumen, die die Wiese in Bildmitte auf der rechte Seite begrenzen, stand einst die Kirnitzschschenke
Seit der Aufnahme Tschechiens in die EU steht der Fussgängergrenzübergang über die Kirnitzschbrücke für Wandersleute und Bergsteiger wieder zur Verfügung.
Quellen:
1) A.Herr, Heimatkreis Tetschen-Bodenbach, Nördlingen 1993
2) W.L.Götzinger, Schandau und seine Umgebungen..., Neudruck Dresden 1991
3) diverse Reiseführer
4) K.Lamm, persönliche Mitteilung
Mit freundlicher Genehmigung von Cornelius Zippe
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